Die M+E-Industrie steht in weiten Teilen vor einem historischen Umbruch. Ob Digitalisierung oder Klimaneutralität mit Mobilitätswende: Die aktuelle Transformation läutet ein neues Industriezeitalter ein, die viele Unternehmen zu umfangreichen Anpassungen zwingt. Auch für diese Herausforderungen bietet der Tarifabschluss 2021 optionale Bausteine und praktikable Lösungen an.

Zukunftstarifverträge

Künftig können Betriebe Ergänzungstarifverträge in Form eines sogenannten "Zukunftstarifvertrags" abschließen, um die Transformation erfolgreich zu gestalten.

  • Im Prinzip werden damit die sogenannten "Pforzheim"-Vereinbarungen erweitert, die bisher schwerpunktmäßig auf betriebliche Lösungen in Krisensituationen ausgerichtet sind. Dabei bleibt aber weder der Prozess noch der Abschluss eines solchen Zukunftstarifvertrags für eine der Betriebsparteien erzwingbar. Mögliche Inhalte eines solchen Tarifvertrags können z.B.  Vereinbarungen zu Investitionen, zur Standort- und Beschäftigungssicherung oder zur Qualifizierung sein. Näheres definiert der Flächentarif nicht.
  • Aus Sicht der Arbeitgeber ist insbesondere der fehlende Zwang dazu geeignet, einen niederschwelligen Zugang zu einem betrieblichen Gesprächsprozess zu finden - was die Chancen, dass dieses Modell auch tatsächlich genutzt wird, erhöht. Auch das 2004 geschlossene "Pforzheimer Abkommen" war eher unverbindlich formuliert, was sich letztlich als Türöffner entpuppte. Seitdem hat "Pforzheim" Unternehmen tausendfach über schwierige Zeiten hinweggeholfen und einen maßgeblichen Beitrag geleistet, den Flächentarif zu stabilisieren.

Arbeitszeitreduzierung mit Teilentgeltausgleich

Schon heute bieten die M+E-Tarifverträge verschiedene Möglichkeiten, die Arbeitszeit im Betrieb kollektiv abzusenken. Neben der gesetzlichen Kurzarbeit, zu der es in der baden-württembergischen M+E-Industrie einen tariflichen Zuschuss gibt, sind dies eine Arbeitszeitabsenkung ohne Entgeltausgleich auf bis zu 31,5 Wochenstunden sowie eine tarifliche Kurzarbeit, bei der mit einem teilweisen Entgeltausgleich auf bis zu 28 Stunden abgesenkt werden kann. Alle drei Modelle zielen auf konjunkturell bedingte Beschäftigungsprobleme für einen begrenzten Zeitraum ab.

Nun werden diese Modelle durch eine neue tarifliche Option der Arbeitszeitabsenkung bei strukturellen Beschäftigungsproblemen auch für einen längeren Zeitraum ergänzt: 

  • Per freiwilliger Betriebsvereinbarung (nicht erzwingbar) kann dabei die Arbeitszeit kollektiv auf bis zu 28 Wochenstunden abgesenkt und durch einen Teilentgeltausgleich flankiert werden. Die Aufstockung kann dabei aus dem neuen "Trafobaustein" finanziert werden. Hierzu gibt es verschiedene Optionen:
  • Individuell: Die Beschäftigten finanzieren ihre Aufstockung individuell selbst. D.h., der Trafobaustein und ggf. weitere Sonderzahlungen (z.B. Urlaubs- oder Weihnachtsgeld) werden anteilig auf zwölf Monate umgelegt, um das Monatsentgelt zu verstetigen.
  • Kollektiv: Die Aufstockung für die von der Arbeitszeitreduzierung Betroffenen wird kollektiv aus den Trafobausteinen aller Beschäftigten finanziert. Beschäftigte, die weiterhin voll arbeiten, erhalten dabei aber zumindest einen Teil ihres Trafobausteins (rund die Hälfte) weiterhin individuell ausbezahlt.
  • Auch eine Kombination der beiden Ausgleichsmodelle ist möglich.

 

 

Diese neue Tarifoption zielt auf Fälle ab, in denen es beispielsweise in einem bestimmten Geschäftszweig absehbar zu wenig Arbeit gibt, um noch alle Mitarbeiter, die an Bord sind, voll zu beschäftigen. In solchen Situationen soll das Modell helfen, Beschäftigung zu sichern und betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. 

Ein Beispiel:
In der Firma Müller & Co. fertigt ein Drittel der Belegschaft Komponenten für Verbrennungsmotoren. Das Auftragsvolumen ist um zehn Prozent zurückgegangen. Aufgrund des beschleunigten Umstiegs auf Elektromobilität wird für die kommenden vier Jahre zudem mit einem weiteren Rückgang von 20 Prozent gerechnet - auf dann 30 Prozent weniger.

  • Nun wird betrieblich die Arbeitszeit der Beschäftigten im betroffenen Bereich um zehn Prozent auf 31,5 Wochenstunden abgesenkt und an das aktuelle Auftragsvolumen angepasst. Die Aufstockung (Teilentgeltausgleich) wird kollektiv aus den Trafobausteinen der gesamten Belegschaft finanziert, so dass die monatliche Einkommenseinbuße der Betroffenen begrenzt wird.
  • In den folgenden vier Jahren scheiden nun jährlich rund fünf Prozent der Beschäftigten in dem rückläufigen Bereich über Fluktuation und Rentenzugang aus, nach vier Jahren also insgesamt 20 Prozent der bisherigen Belegschaft. Zudem werden weitere zehn Prozent in neue und wachsende Geschäftsfelder des Unternehmens übernommen. 
  • Damit ist es gelungen, die erforderliche Personalanpassung ohne Kündigung von Beschäftigten, aber auch ohne wettbewerbsgefährdenden Mehrkosten für das Unternehmen zu regeln - ein Win-Win-Ergebnis für Beschäftigte und Betriebe.

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